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Thursday, August 27, 2020

Lebenskünstler Florian Havemann: Der abtrünnige Sohn des bekanntesten DDR-Oppositionellen - Tagesspiegel

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Womit beginnen?

Damit, wie Florian Havemann in einer abgerockten Bude in Neukölln sitzt, in der sich Bücher und Gedanken stapeln an sein Leben als Sohn des prominentesten DDR-Oppositionellen? 

Jenem Vater, der in seinem Haus hinter der Stadt unter Hausarrest stand, von 250 Leuten rund um die Uhr bewacht, das Haus aber auch nutzte, so erinnert sich der Sohn, um in Opposition zu seiner Ehe zu gehen, mit Festen und Frauen und Wolf Biermann, der dazu Lieder sang. Und in Opposition zu seinem zweiten Sohn, der jetzt hart über einen Vergötterten spricht und dabei sanft an einer Zigarre zieht.

Robert Havemann auf einem Archivbild vom 14. Juni 1979.Foto: picture-alliance / dpa

Oder damit, wie Florian Havemann vor seinem alten Wohnhaus in der Karl-Marx-Allee steht und durch seine früheren Augen sieht, wie hier auf Ost-Berlins Prachtstraße eine Revolte von Jugendlichen losbricht? Auf jener Straße, die sein Onkel auf Kriegstrümmern erbaut hatte. Und Havemann, als in Prag die Revolte zur Revolution wurde und der Osten sein ’68 erlebte, eine Protestfahne aus seinem Kinderzimmerfenster hing und bald im Stasi-Knast saß, freikam und in den Westen floh.

Seine Vertraute: Deutschlands bekannteste Prostituierte

Oder doch damit, dass Florian Havemann in seiner Galerie hockt an der Friedrichstraße und erzählt, dass seine Bilder, die einsame Menschen in glatten Umgebungen oder rotlichtigen Lokalen zeigen auf langen Flächen, die er Punkt für Punkt malt? Dass jene Bilder 100 000 Euro kosten und er bisher keines verkauft hat.

Oder besser damit, dass Florian Havemann barfuß in seinem Atelier in Prenzlauer Berg hockt und berichtet, wie er als Brandenburger Verfassungsrichter Fälle von Menschen zu entscheiden hatte, denen Unrecht geschehen war und die darüber ausrasteten? Und wie er darüber ein neues Buch schreibt, denn eigentlich ist er Schriftsteller, aber nach der Richtersache wurde er erst Politiker, Berater von Gregor Gysi, ausgerechnet jenem Mann, der mal Anwalt seines Vaters war und um den es immer noch offene Fragen gibt zur Stasi-Geschichte. Auch bezüglich der Verteidigung von Havemann, den die Kommunisten auch dank Gysi doch nicht ins Gefängnis steckten, wie sie einst von den Nazis in Gefängnisse gesteckt worden waren. So wie Robert Havemann.

Zeitzeugen: Florian Havemann (links) auf einem Archivbild von 2008 mit Gregor Gysi und Andrej Bahro.Foto: Wolfgang Kumm

Oder lieber damit, dass Florian Havemann, der gern lacht, wenn er eine Geschichte erzählt, die zu witzig ist um unwahr zu sein, in einem Restaurant in Mitte sitzt, als seine „Vertraute“ auftaucht, wie sie sein Verlag angekündigt hat, ungleich jünger und weniger bekleidet als er? Jene Frau, die von seinem neuen Roman „Speedy“ schwärmt, in dem es um eine Frau geht, die ihren Mann vorführt, indem sie andere verführt, was ihn ins Gefängnis bringt, und ach ja, die Frau, die neben Florian Havemann sitzt und tatsächlich nicht unvertraut mit ihm umgeht, ist Deutschlands bekannteste Prostituierte. Wie sie sich selbst vorstellt mit einem leichten, ja auch reizenden Lachen; und natürlich ist sie die Tochter eines Prominenten aus einem Land, das untergegangen ist, aber dessen Menschen und Verwicklungen nicht.

Soll das alles ein Leben sein, das zusammengehört, zusammen erzählt gehört? Von einem Mann, der unscheinbar durch Berlin schlappt in Sandalen und Schlabberhose, mit weißem Hut unter grau wehendem Haar? Einem, der nur sich gehört, seinen künstlerischen und lebenskünstlerischen Einfällen: Florian Havemann, ein 68er, der schon 68 ist, genannt Flori. Er ist eine der schillernden Geheimnisgestalten im vor lauter zerwühlten Gefühlen zerklüfteten Osten. Womit also beginnen?




August 28, 2020 at 03:00AM
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Sanft

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